Indonesien-Programm: Allgemeine Information und Hintergründe
Das südostasiatische Land Indonesien besteht aus über 17.000 Inseln und ist damit der größte Inselstaat der Welt. An der Grenze zwischen Indischem Ozean und dem Pazifik gelegen, beherbergen seine tropischen Meere eine einzigartige Artenvielfalt und sind auch Teil des berühmten Korallendreiecks. Von den sieben existierenden Arten bewohnen sechs die Gewässer Indonesiens, fünf Arten nisten regelmäßig an seinen Stränden. Dennoch ist im Vergleich zu vielen anderen Ländern nur sehr wenig über die Meeresschildkröten Indonesiens bekannt, auch um ihren Schutz steht es nicht zum Besten. Dort nahm deshalb auch das Engagement der Turtle Foundation für die bedrohten Meeresschildkröten seinen Anfang. Unsere indonesischen Projekte werden von unserer lokalen Schwesterorganisation Yayasan Penyu Indonesia (YPI) duchgeführt.
Projekte
– Berau: Schutz der Grünen Meeresschildkröte in ihrem größten indonesischen Nistgebiet
– Sumatra: Kampf um die Nistgründe der letzten Lederschildkröten im nordöstlichen indischen Ozean
– Cool ohne Schildpatt – Kampagne gegen die Ausrottung der Echten Karettschildkröte zur Schmuckproduktion in Indonesien
Berau: Schutz der Grünen Meeresschildkröten in ihrem größten indonesischen Nistgebiet
Hintergrund
Im Derawan-Archipel in der Provinz Berau vor Ost-Borneo befindet sich das weltweit achtgrößte und Indonesiens größtes Nistgebiet Grüner Meeresschildkröten (Chelonia mydas). Die Population ist nur ein Rest von etwa 10 % des Bestandes von vor ca. 70 Jahren und ist durch massenhaftes illegales Absammeln ihrer Eier weiterhin bedroht. Die Eier der Schildkröten stellen für die Bevölkerung kein Grundnahrungsmittel dar, sondern sind eine teure Delikatesse; ein Schildkrötenei kostet mehr als fünfmal so viel wie ein Hühnerei! Der Handel mit den begehrten Schildkröteneiern nimmt daher den Charakter einer organisierten Kriminalität an, der nur schwer beizukommen ist, und stellt eine erhebliche Bedrohung für den Fortbestand der Nistpopulation dar.
Ort
Derawan-Archipel (auch genannt Berau-Archipel oder Berau-Inseln), Distrikt Berau (Distrikt-Hauptstadt: Tanjung Redeb), Provinz Ost-Kalimantan (Provinzhauptstadt: Samarinda), Borneo, Indonesien
Aktivitäten
Das Schutzprojekt auf den Derawan-Inseln besteht seit Gründung der Turtle Foundation im Jahre 2000. Es begann auf der Insel Sangalaki, wo im Januar 2002 eine Schutzstation errichtet wurde und auch behördlicherseits erstmals der vollständige Schutz der Schildkrötennester der Insel gewährt wurde. Dieser Schutz wurde mithilfe von täglichen Strandpatrouillen lokaler Ranger, die auch gefährdete Nester in Brutstationen (Hatcheries) umbetteten und Daten zur Nistaktivität sammelten, durchgesetzt. Im Jahr 2008 wurden das Projekt auf die beiden Derawan-Inseln Bilang-Bilangan und Mataha ausgedehnt. Die Plünderungen der Nester konnten damit fast vollständig unterbunden werden, etwa 75 % der Nester der Population standen unter Schutz.
In den darauffolgenden Jahren gab es mehrfach Wechsel im Management der Nistinseln. Während die Schutzmaßnahmen auf Sangalaki, Bilang-Bilangan und Mataha durch nationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen fortgeführt wurden, begründete die Turtle Foundation 2019 ein neues Schutzprojekt auf den letzten beiden bis zu diesem Zeitpunkt noch ungeschützten Nistinseln des Derawan-Archipels, Belambangan und Sambit. Dadurch konnte eine bedeutende Schutzlücke endlich geschlossen werden. Auf Belambangan und Sambit wurden dann all die Maßnahmen zum Schutz der Meeresschildkröten implementiert, die sich in den Jahren zuvor auf den anderen Inseln bewährt haben.
Um den Jahreswechsel 2021/22 wurde uns von der örtlichen Regierung die Fortführung des Projektes leider überraschend untersagt. Hintergrund sind Planungen für den Bau eines Resorts auf der Insel Belambangan, für den die Interessen der nistenden Meeresschildkröten leider nachgeordnet sind. Derzeit prüfen wir unterschiedliche Möglichkeiten: einerseits eruieren wir, ob es noch Chancen gibt, das Projekt auf Belambangan und Sambit fortzusetzen, andererseits sind wir mit der regionalen Naturschutzbehörde im Gespräch darüber, ob wir zu unseren Anfängen zurückkehren und das Schutzprogramm auf Sangalaki unterstützen könnten.
Seit Beginn des Projektes im Jahr 2000 konnte der Schlupf von ca. 9 Millionen Schildkröten-Jungtieren ermöglicht werden, von denen die meisten ansonsten schon als Eier in den Kochtöpfen gelandet wären.
Neben den Aktivitäten auf den Nistinseln haben wir uns in Berau kontinuierlich gegen die Produktion und den Verkauf von Produkten aus Schildpatt eingesetzt. Mit hartnäckiger Kampagnenarbeit und Meldungen von Verstößen ist es uns gelungen, diesen illegalen Handel fast gänzlich zum Erliegen zu bringen.
Kürzlich haben wir auf der Insel Maratua, auf der es vier Dörfer gibt, eine Kooperation zur Unterstützung der lokalen Bevölkerung begonnen. Ein Mitarbeiter unserer Partnerorganisation Yayasan Penyu Indonesia ist jetzt im Dorf Payung-Payung auf Maratua stationiert, um mögliche Maßnahmen zu entwickeln.
Alle Aktivitäten finden in enger Zusammenarbeit mit den Naturschutzabteilungen des Meeresministeriums sowie des Forst- und Umweltministeriums statt.

Die Insel Belambangan im Derawan-Archipel, Distrikt Berau, Indonesien

Grüne Meeresschildkröte auf Rückkehr ins Meer nach der Eiablage

Eiersammler auf Sangalaki

Verkauf von Schildkröteneiern auf einem Marktstand in Berau

Umbettung eines von Überflutung gefährdeten Nestes auf Belambangan durch unseren Ranger Beny Piama

Umweltbildung für Schulkinder in Berau, Indonesien
Sumatra: Kampf um die Nistgründe der letzten Lederschildkröten im nordöstlichen indischen Ozean
Hintergrund
Im Zuge einer Investigation zum Konsum von Schildkrötenfleisch und -eiern im Mentawai-Archipel vor West-Sumatra entdeckten wir im Spätherbst 2017 auf der abgelegenen Insel Sipora einen bis dahin der Außenwelt unbekannten Niststrand der seltenen Lederschildkröte (Dermochelys coriacea) ̶ den Strand von Buggeisiata. Die dort nistenden Tiere gehören zur Subpopulation des Nordöstlichen Indischen Ozeans, über die sehr wenig bekannt ist, die aber sehr wahrscheinlich akut vom Aussterben bedroht ist. Leider werden sowohl die die Eier als auch die nistenden Tiere selbst regelmäßig von Teilen der einheimischen Bevölkerung fast komplett konsumiert.
Strandschutz auf Sipora
Ort
Strand von Buggeisiata, Dorf Betumonga, Sipora, Mentawai-Archipel, Provinz West-Sumatra (Provinzhauptstadt Padang), Indonesien
Aktivitäten
Seit Herbst 2017 wird der Strand von Buggeisiata zur Nistsaison zwischen Oktober und Mai von einem Team ausgebildeter einheimischer Ranger überwacht. Möglichst viele Nester werden in eine bewachte Brutstation (Hatchery) verlegt, wo sie sich ungestört entwickeln können. Es werden standardmäßig Nist- und biometrische Daten gesammelt sowie Schildkröten markiert, um mehr über diese neuentdeckte Population zu lernen und sie damit besser schützen zu können. Seit Aufnahme unserer Tätigkeit wurden an diesem Strand keine nistenden Lederschildkröten mehr getötet. In dem bislang allerdings sehr kurzem Beobachtungszeitraum von zwei Nistsaisons (Stand Mai 2019) zeichnet sich vorläufig ein jährliches Aufkommen von rund 70 Nestern gelegt von etwa einem Dutzend individueller Tiere ab.
Um das Projekt überhaupt zu ermöglichen und seine Nachhaltigkeit zu sichern, geschieht seine Organisation und Durchführung in Abstimmung und Zusammenarbeit mit den lokalen Dorfgemeinschaften. Enge Kooperationen bestehen mit der Naturschutzbehörde BPSPL Padang, dem indonesischen Meeresministerium und der indischen Dakshin Foundation.

Der Strand Buggeisiata auf Sipora

Ranger mit den Überresten einer kürzlich getöteten Lederschildkröte

Projektleiter vor Ort Meriussoni Zai bewacht und vermisst eine nistende Lederschildkröte.

In unserer Niststation können sich die Eier der Lederschildkröten ungestört und sicher vor Wilderern entwickeln.

Ein Ranger zählt die Schalen eines geschlüpften Lederschildkröten-Geleges in der Hatchery, um den Schlupferfolg zu ermitteln.
Neues Projekt auf Selaut Besar
Ort
Strand Barat Daya auf der Insel Selaut Besar, Distrikt Simeuluë, Provinz Aceh (Provinzhauptstadt Banda Aceh), Indonesien
Aktivitäten
Auf anderen Inseln vor Sumatra entdeckten wir bei Nachforschungen in den letzten Jahren weitere Lederschildkröten-Niststrände, die der Fachwelt bislang unbekannt waren. Bei den meisten Stränden ist noch unklar, wie viele Tiere dort pro Jahr nisten und ob dort ein Schutzprojekt eingerichtet werden sollte. Bei der nur zeitweise bewohnten Insel Selaut Besar in der Provinz Aceh war der Fall jedoch bald klar: Lederschildkröten nisten dort regelmäßig in größerer Zahl. Bei einem Besuch vor Ort im Januar 2020 gelang es uns, zusammen mit den Wissenschaftlern Rita Patricio und Paulo Catry zwei Lederschildkröten mit Satellitensendern zu versehen, um so Daten über ihr Wanderverhalten zu gewinnen.
Der ausführliche Mission Report in englischer Sprache ist unterhalb dieses Abschnitts zu finden.
Da die Eier der Schildkröten von Fischern und Kokosbauern, die die Insel regelmäßig besuchen, abgesammelt werden, muss der Niststrand der Insel geschützt werden. Hierfür haben wir im Jahr 2020 eine Partnerschaft mit der Naturschutzorganisation EcosystemImpact begründet, die ihren Sitz auf der Insel Simeuluë hat, zu welcher Selaut Besar gehört. Während EcosystemImpact für die Durchführung des Projektes vor Ort verantwortlich ist, steuern wir die Methodik der Schutzmaßnahmen und Datensammlung bei. Ende 2020 konnten wir mit der Ausbildung der Ranger beginnen und das Projekt starten.

Markierung einer Lederschildkröte auf Selaut Besar mit Satellitentransmitter
Cool ohne Schildpatt – Kampagne gegen die Ausrottung der Echten Karettschildkröte zur Schmuckproduktion in Indonesien
Hintergrund
Die Echte Karettschildkröte (Eretmochelys imbricata) gilt wegen ihres farbenfrohen Panzers als die schönste aller Meeresschildkröten. Doch die Hornplatten ihres Rückenpanzers liefern leider auch einen begehrten Rohstoff: das sogenannte Schildpatt. Auch hierzulande waren Kämme, Brillengestelle, Deko-Objekte und Schmuck aus Schildpatt früher weit verbreitet, doch seit der internationale Handel mit Schildpatt verboten wurde, sind sie überwiegend in den tropischen Ländern zu finden, in denen die Echte Karettschildkröte heimisch ist.
Die Echte Karettschildkröte wird aufgrund ihres Schildpatts in einigen Teilen der Welt auch heute noch stark bejagt und ist daher eine der am stärksten gefährdeten Meeresschildkrötenarten weltweit. Eine der verbliebenen Populationen bevölkert die Gewässer Indonesiens. Auch hier stehen die Tiere inzwischen unter Naturschutz, aber die Problematik und das Ausmaß der Schildpattproduktion werden von den Behörden bisher nicht ausreichend wahrgenommen.
Ort
Indonesien, landesweit
Aktivitäten
Um einen Beitrag zur Rettung der verbliebenen Echten Karettschildkröten Indonesiens zu leisten, starteten wir eine landesweite Kampagne zur Eindämmung des Schildpatthandels, die darauf abzielte, das Käuferverhalten zu beeinflussen und das Tragen von Schildpattschmuck negativ zu konnotieren. Für die Kampagne, die Mitte 2019 startete, wurde auf Bali ein Büro als operative Basis angemietet. Zunächst wollten wir uns einen Überblick über die Dimension des Schildpatt-Handels verschaffen und unternahmen daher im Projektzeitraum eine Serie von Marktrecherchen, bei der Bayu Sandi und der Kampagnenleiter Muhamed Jayuli zu Orten reisten, die wir als potenzielle Umschlagplätze und Hotspots des Schildpatt-Handels identifiziert hatten.
Nach Besuchen in 16 Ortschaften in 9 Provinzen stehen nun vier Regionen im Fadenkreuz für weitere, dringend benötigte Folgemaßnahmen:
- die Insel Nias vor der Westküste von Sumatra
- Gebiete in den Provinzen Süd- und Zentral-Sulawesi
- sowie die Insel Timor.
Weiterhin stießen wir im Internet auf den gängigen Verkaufsportalen auf einen blühenden Online-Handel. Durch hartnäckige, regelmäßig wiederholte Meldungen bei den Betreibern der Portale unter Hinweis auf den Tatbestand des illegalen Wildtierhandels konnte die Zahl der angebotenen Schildpatt-Artikel erheblich reduziert werden: zwischen der ersten Zählung im August 2019 und der letzten Zählung im November 2020 sanken die Angebote um 87%.
Aufgrund der Corona-Beschränkungen konnten die Marktrecherchen nur eingeschränkt durchgeführt werden, sodass wir hier eingesparte Projektmittel für die Produktion eines Fernsehspots nutzten. Die gesamte Verbraucherkampagne basierte auf dem Einsatz unseres Maskottchens Kimi, einer jungen Karettschildkröte, die ihren bedrohten Brüdern und Schwestern im Meer ein Gesicht und eine Stimme gibt. Kimis Appelle, die Schildkröten nicht grausam zu töten, um aus ihrem Schildpatt billigen Deko-Schmuck herzustellen, erreichten in Indonesien ein Millionenpublikum. Auf Social Media-, Radio- und TV-Kanälen wurden die Kampagnenbeiträge von insgesamt mehr als 20 Millionen Menschen wahrgenommen. Hier kamen uns die ohnehin sehr hohe Verbreitung sozialer Medien in Indonesien sowie die durch den Lockdown sprunghaft gestiegenen Online-Zeiten zu Hilfe.
Durch unsere Recherchen wurde das gesamte Ausmaß des Schildpatthandels in Indonesien ersichtlich: insgesamt fanden wir auf Märkten, in Geschäften und im Internet fast 42.000 Schildpatt-Produkte mit einem Gesamtwert von über 340.000 €. Basierend auf der Rechnung, dass die Hornplatten einer Schildkröte etwa ein Kilo Schildpatt-Material liefern und dass aus einem Kilo Schildpatt durchschnittlich 42 Produkte hergestellt werden, können wir schätzen, dass die Masse des gesichteten Materials fast 1.000 Schildkröten entspricht und dass der Marktwert einer Echten Karettschildkröte in Indonesien etwa 345 € beträgt.
Für das Ziel, die Gefährdung der Echten Karettschildkröte in Indonesien durch den Handel mit Schildpatt zu beenden, wird noch viel Arbeit nötig sein.
Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit der indonesischen Naturschutzorganisation Profauna, der US-amerikanischen Kampagne Too Rare to Ware und indonesischen Behörden durchgeführt.

Tote Echte Karettschildkröte treibend auf dem Meer im Derawan-Archipel, Indonesien.

Schmuck aus Schildpatt, offen verkauft auf dem Markt auf der Insel Derawan

Dieses Schildpatt-Armband wird für wenige Euro öffentlich an Touristen angeboten.

Ausgestopfte Echte Karettschildkröten werden als Wandschmuck dargeboten (Derawan, Berau)