Wir schützen Meeresschildkröten
auf Boa Vista (Kapverden)
Fünf Arten von Meeresschildkröten durchstreifen die Gewässer um die kapverdischen Inseln: Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas), Lederschildkröten (Dermochelys coriacea), Olive-Ridley-Schildkröten (Lepidochelys olivacea), Echte Karettschildkröten (Eretmochelys imbricata) und Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta). Allerdings nistet nur die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) regelmäßig auf den Inseln.
Weltweit drittgrößte Population Unechter Karettschildkröten
Die lokale Nistpopulation der Unechten Karettschildkröten ist nach den Nistpopulationen von Oman und Südost-Florida die drittgrößte Population der Welt und die größte Nistpopulation im Ostatlantik. Es wird geschätzt, dass etwa zwei Drittel der kapverdischen Nistplatzaktivitäten auf der Insel Boa Vista stattfinden.
Bedrohungslage für Unechte Karettschildkröten
Obwohl die Gesetzeslage auf den Kapverden alle Meeresschildkröten offiziell unter Schutz stellt, sind sie zahlreichen Bedrohungen ausgesetzt. So stellt die Wilderei der nistenden Tiere nach wie vor einen Großteil der Gefahren dar. Um ihre Nester zu bauen, kommen erwachsene weibliche Meeresschildkröten alle zwei bis drei Jahre an Land. Insgesamt legen sie zwischen sechs und zehn Nester pro Saison. Darüber hinaus bedroht eine zunehmende Zerstörung ihrer Niststrände den Fortbestand der Population. Ob Hotelkomplexe, die rücksichtslos an die bevorzugten Strände gebaut werden und mit ihren hell erleuchteten Anlagen für Lichtverschmutzung und dadurch Irritation der Jungtiere sorgen, Ströme von touristischen Gruppen oder auch massive Müllansammlungen an Land und im Meer – die Liste scheint endlos. Aber auch auf See drohen Gefahren wie der Tod als Beifang der industriellen Fischerei oder fatale Kollisionen mit Schiffen oder Booten.
Die Turtle Foundation tritt auf den Plan
Seit 2008 betreiben wir bzw. unsere lokale Schwester Fundação Tartaruga das Schutzprojekt auf Boa Vista. Durch konsequente nächtliche Patrouillen an den Stränden konnte die Zahl der gewilderten Tiere enorm reduziert werden. Allein im ersten Jahr fiel die Zahl von 600 getöteten Tieren (2007) am Strand von Porto Ferreira auf 60.
Projektstandort
Übersicht
Start des Programms: 2008
Art im Fokus: Unechte Karettschildkröte
Ort: Boa Vista, Kap Verde
Projekte
Während der Nistsaison der Unechten Karettschildkröte von Juni bis Oktober führen wir Patrouillen an fünf Stränden durch, an denen wir saisonale Strand-Camps betreiben. Diese befinden sich im Norden (Boa Esperança), Nordosten (Canto, Cruz do Morto) und im Süden (Curral Velho, Lacação) der Insel.
Bereits seit 2009 werden die Ranger, Feld- und Lagerkoordinator*innen durch nationale und internationale Freiwillige bei der Strandpatrouille unterstützt.
Nachts werden auf insgesamt 42 Kilometern Länge die Niststrände der Unechten Karettschildkröte überwacht. Durch die Präsenz sollen Wilderer davon abgehalten werden, sich den nistenden Tieren zu nähern. Wird ein Weibchen angetroffen, können unsere Teams zudem biometrische Daten erfassen und bedrohte Nester in eine dafür eingerichtete bewachte Brutstätte (Hatchery) umbetten.
Darüber hinaus unterstützen wir seit vielen Jahren ein gemeindebasiertes Schutzprojekt unter dem Namen Projeto Bofareira, das einen ein Kilometer langen Niststrand im Norden der Insel patrouilliert.
Den Wilderern auf der Spur: Hunde- und Drohnen-Team
Da die stark gefährdete Population der Unechten Karettschildkröte bis heute wegen ihres Fleisches auf den Kapverden bejagt wird, haben wir 2018 ein einzigartiges Projekt ins Leben gerufen. In enger Zusammenarbeit mit lokaler Naturschutzbehörde und Polizei entstand das Hunde- und Drohnen-Projekt, das seitdem von unserer kapverdischen Schwester Fundação Tartaruga auf einer Gesamtlänge von 66 Strandkilometern ausgeführt wird.
Erfolg für Artenschutzhunde und Nachtsichtdrohnen
Die gezielte Ansteuerung von Niststränden mit einem qualifizierten Team aus mit Nachtsichtgeräten ausgestatteten Rangern und Artenschutzhunden hat seit der Einführung zu einem massiven Rückgang der Wildereizahlen an den Küsten Boa Vistas gesorgt. Im sogenannten Mantrailing ausgebildete Hunde, die darauf trainiert wurden, Geruchsspuren zu verfolgen, haben gemeinsam mit der Präsenz von Nachtsichtdrohnen ihre abschreckende Wirkung gezeigt. In einer 5-Jahres-Bilanz wurde dies zuletzt sehr deutlich: Waren es 2017 noch 865 getötete Weibchen, sank die Zahl im Folgejahr auf 275 und seitdem fortlaufend.
Vorteile der modernen Strategie im Schildkrötenschutz
Hunde verfügen über einen hoch entwickelten Geruchssinn, der es ihnen ermöglicht, verborgene Gegenstände aufzuspüren und Geruchsspuren über eine große Distanz zu verfolgen. Nicht nur diese Eigenschaft macht sie zur idealen Ergänzung des Menschen bei der nächtlichen Suche nach Wilderern. Denn tatsächlich können von diesen am Tatort hinterlassene Gegenstände wie beispielsweise Messer zur Fährtenaufnahme eingesetzt werden. Zusätzlich zu den Artenschutzhunden haben wir uns für eine moderne Nachtsichttechnologie, die über Drohnen gesteuert wird, entschieden. Dadurch lassen sich Angriffe bereits im Vorfeld vereiteln, da sie den möglichen Überwachungsradius um ein Vielfaches steigert. All jenes hilft uns dabei, geeignetes Beweismaterial zur weiteren Strafverfolgung an die örtlichen Behörden weiterzureichen.
Flugtraining mit der Nachtsichtdrohne bei Tag, um Koordination und Steuerung zu üben
Trainingseinheit des Hunde- und Drohnen-Teams mit der Nachtsichtdrohne
Mitglieder des Hunde- und Drohnen-Teams bei der Bedienung der Drohne
Artenschutzhündin Karetta beim Aufspüren eines Schildkrötenkadavers
Artenschutzhund Kelo bei der Arbeit auf Boa Vista
Gesellschaftliches Engagement: mehr als nur aktiver Schildkrötenschutz
Um die illegale Jagd auf Meeresschildkröten dauerhaft zu beenden, ist es wichtig, die lokale Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren und gemeinsam mit ihr nachhaltige alternative Einkommensmöglichkeiten und sinnvolle Konzepte zur Verbesserung der Lebenssituation zu entwickeln.
Kostenlose Schwimmkurse
Bei einer Umfrage auf der kapverdischen Insel mussten wir feststellen, dass nur etwa 14 % der Kinder und Jugendlichen gut genug schwimmen können, um sich sicher im Meer aufzuhalten. Dieses erschreckende Ergebnis machte uns klar, dass häufig eben auch die positive Verbindung zum Meer fehlte, um sich für dessen Schutz einzusetzen. Unser Anspruch, etwas an diesem Zustand zu verändern, war geboren.
Nach der Ausbildung von Schwimmlehrerinnen und -lehrern führten wir 2021 erstmalig einen kostenlosen Kinderschwimmkurs auf Boa Vista ein. Knapp 300 Kinder konnten wir seitdem mit Schwimmabzeichen für absolvierte Kurse in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen auszeichnen. Neben klassischen Unterrichtsstunden im Schwimmen und Schnorcheln enthalten die Kurse auch spielerische Elemente der marinen Umweltbildung, die den Lebensraum Ozean anschaulich und nahbar machen.
Regelmäßige Strandsäuberungsaktionen
Die Strände Boa Vistas leiden unter einem massiven Müllaufkommen. Angeschwemmte Überbleibsel unserer Zivilisation, die es den nistenden Weibchen der Unechten Karettschildkröte besonders schwer machen, an Land zu kommen und ihre Eier zu legen. Aus diesem Grund veranstalten wir in regelmäßigen Abständen in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und unserem Team der Fundação Tartaruga großangelegte Strandreinigungsaktionen.
Doch was geschieht mit dem angespülten Müll von den Niststränden? Da es leider auf Boa Vista noch kein Abfallwirtschaftskonzept gibt, landet der gesamte Müll unsortiert auf einer offenen Müllkippe im Innern der Insel. Um zumindest ein symbolisches Zeichen zu setzen und auf die Problematik aufmerksam zu machen, haben wir ein kleines Recyclingprojekt gestartet, bei dem wir aus einzelnen Fundstücken wiederverwendbare Gegenstände anfertigen.
Schöne Dinge aus Müll – Upcycling-Werkstatt Lixo Limpo
Aktuell planen wir die Eröffnung eines kleinen Upcycling-Zentrums mit dem Namen „Lixo Limpo“ (portugiesisch für „Sauberer Müll“) in der Hauptstadt Sal Rei auf Boa Vista. Hier möchten wir gemeinsam mit der lokalen Gemeinschaft nachhaltige Ideen entwickeln und in die Tat umsetzen, um unterschiedlichen Abfallprodukten wie vielerorts in der Natur entsorgten Glasflaschen eine neue Bestimmung zu geben.
Bereits vor einiger Zeit haben wir Maschinen angeschafft, mit deren Hilfe aus Plastikdeckeln von gesammelten Trinkflaschen, die man leider auf der kapverdischen Insel an vielen Stellen findet, nützliche Artikel gefertigt werden können. Im ersten Schritt müssen die Deckel zerkleinert bzw. geschreddert werden. Daraufhin wird das entstandene Granulat eingeschmolzen und in individuelle Formen gepresst. Die dadurch neu entstandenen Schildkrötenschlüsselanhänger vertreiben wir über unseren Webshop. Nun ist es an der Zeit, weiteren Upcycling-Ideen einen geeigneten Raum zu geben!
Geschlechtergerechtigkeit im Meeresschildkrötenschutz
Chancengleichheit im Artenschutz – mit einem für uns bisher einzigartigen Projekt haben wir uns für die Laufzeit von 12 Monaten genau diesem Thema gewidmet. Unter dem etwas sperrigen englischen Arbeitstitel „Empowering women and youth through knowledge exchange and capacity building in turtle conservation“ (deutsch „Stärkung von Frauen und Jugendlichen durch Wissensaustausch und Kapazitätsentwicklung im Schildkrötenschutz) luden wir im Jahr 2023 junge kapverdische Studentinnen für zwei Monate in unser Projektgebiet auf Boa Vista ein. Das Ziel: Seite an Seite mit Teams aus Rangern, Feldkoordinator*innen und internationalen Freiwilligen sollten wertvolle Synergien entstehen. Im Zuge dessen präsentierten insgesamt 10 Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen Inhalte aus der universitären Lehre. Im Gegenzug gewannen sie praktische Einblicke in die Arbeit der Fundação Tartaruga an den Niststränden der Unechten Karettschildkröte.
Da wir von dem positiven Effekt für die Teilnehmenden überzeugt sind, möchten wir auch in Zukunft gerne wieder Projekte durchführen, die die Rolle der Frau in der Wissenschaft stärken. Vielleicht ist es uns möglich, ein derartiges oder ähnliches Projekt zu einem späteren Zeitpunkt erneut durchzuführen.
Gemeinsame Projekte mit anderen NGOs
Im Rahmen eines mehrjährigen Projektes haben wir unter dem Namen Projeto Tartaruga Boa Vista in Partnerschaft mit den beiden anderen Naturschutzorganisationen auf Boa Vista, Cabo Verde Natura 2000 und BIOS.CV, von 2017 bis 2022 verschiedene weitere Projekte zur Unterstützung der Inselbevölkerung umgesetzt.
Frauen-Kooperative TAMBRA
Im Dorf João Galego wurde eine Frauenkooperative namens TAMBRA ins Leben gerufen. Hintergrund ist, dass auch Frauen Teil des illegalen Handels mit Schildkrötenfleisch auf Boa Vista sind, da es in der Regel Frauen sind, die das Fleisch einkochen und verkaufen. Mit der Anleitung zur Produktion und Vermarktung von eingemachten Gemüse-Chutneys und Naturseifen boten wir den Frauen von TAMBRA eine nachhaltige Alternative zur Beteiligung an der Schildkrötenwilderei. Aktuell unterstützen wir TAMBRA noch bei der Vermarktung der dort hergestellten Seifen, die wir über unseren Webshop verkaufen.
Atelier Tarafes
Nähen für selbstbestimmte, unabhängige Einnahmequellen: Seit 2018 unterstützen wir eine Frauengruppe im Dorf Cabeça dos Tarafes mit Nähkursen und entsprechender technischer Ausrüstung. Dadurch war es den Frauen des Atelier Tarafes möglich, Aufträge aus der Bevölkerung anzunehmen, die sie unabhängig vom Tourismus machen. So wurden in der Vergangenheit bereits Schuluniformen, Arbeitskleidung und Atemschutzmasken für öffentliche Auftraggeber wie Einrichtungen oder die Lokalregierung angefertigt. Einen weiteren Kurs von einer professionellen Damenschneiderin haben wir ebenfalls für das mittlerweile erfolgreiche Nähstudio finanziert. Mit dieser Unterstützung können nun auch Auftrage aus den Bereichen der Hochzeits- oder Abendkleidung angenommen werden.
Kinder auf Boa Vista beim Schwimmtraining
Junger Teilnehmer des kostenlosen Schnorchelkurses auf Boa Vista
Strandsäuberungsaktion am Strand von Cruz Morto, Boa Vista
Plastik-Upcyclingmaschine für PET-Deckel, Boa Vista
Upgecycelte Schlüsselanhänger aus alten PET-Deckeln
Junge Teilnehmerinnen des „Women in Conservation“-Programms auf Boa Vista
Selbsthergestellte Seife aus der Kooperative TAMBRA
Näherinnen im Atelier Tarafes
Nähgruppe in Cabeçã dos Tarafes
Bildung durch Musik. Gitarren für die lokale Schule.
Ein Strandabschnitt wird vom Plastikmüll befreit