Programm Boa Vista: Allgemeine Information und Hintergründe
Fünf Arten von Meeresschildkröten durchstreifen die Gewässer um die Inseln von Kap Verde: Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas), Lederschildkröten (Dermochelys coriacea), Olive-Ridley-Schildkröten (Lepidochelys olivacea), Echte Karettschildkröten (Eretmochelys imbricata) und Unechte Karettschildkröten (Caretta caretta). Nur die Unechte Karettschildkröte (Abb. 2) nistet regelmäßig auf den Inseln. Die lokale Nistpopulation der Unechten Karettschildkröten ist nach den Nistpopulationen von Oman und Südost-Florida die drittgrößte Population der Welt und die größte Nistpopulation im Ostatlantik. Es wird geschätzt, dass etwa zwei Drittel der Nistplatzaktivitäten auf Kap Verde auf der Insel Boa Vista stattfinden.
Obwohl alle Meeresschildkrötenarten nach den Gesetzen von Kap Verde offiziell geschützt sind, sind sie zahlreichen anthropogenen Bedrohungen ausgesetzt. Die Hauptbedrohung ist das Abschlachten von weiblichen Unechten Karettschildkröten, wenn sie zum Nisten an Land kommen (Abb. 3). Die Verwundbarkeit der Schildkröten an Land in Kombination mit der leichten Zugänglichkeit der Niststrände, dem raschen Anwachsen der lokalen Bevölkerung seit Anfang der 2000er Jahre und dem fehlenden Willen und/oder der mangelnden Fähigkeit der Behörden, die bestehenden Gesetze durchzusetzen, verschärften das Problem noch weiter. Das Schlachten ist besonders brutal und grausam, wobei die Schildkröten aufgeschnitten werden, um Fleisch und innere Organe zu entfernen, während sie noch am Leben sind. Dies geschieht in der Regel, bevor die Weibchen überhaupt nisten, so dass auch ihre gesamte Nachkommenschaft getötet wird. Weitere Bedrohungen sind die Zerstörung ihrer Niststrände durch unkontrollierte Bebauung im Rahmen der raschen Tourismusentwicklung, Nestwilderei, Müllansammlungen im Wasser und an den Stränden, gezielter Fang und Beifang von Schildkröten auf See sowie Bootskollisionen. Diese Situation hat dazu geführt, dass das Umweltprogramm der Vereinten Nationen Kap Verde als die Erhaltungspriorität für Unechte Karettschildkröten identifiziert hat (UNEP, 2002).
Eine besondere Situation auf Boa Vista entsteht durch zunehmende touristische Aktivitäten; nach offiziellen Angaben wurden allein auf Boa Vista im Jahr 2016 über 1,6 Millionen Übernachtungen verzeichnet, was mehr als 40% aller Übernachtungen in Kap Verde entspricht. Der Massentourismus führt zu einer Vielzahl zusätzlicher Probleme für die Meeresschildkröten, darunter die Zerstörung der Niststrände durch Entwicklungsprojekte, Lichtverschmutzung, motorisierter Verkehr an den Stränden (Quad-Bike-Touren) und schlecht organisierte Schildkrötenbeobachtungsaktivitäten.
Die Turtle Foundation startete 2008 ihr Schutzprojekt auf Boa Vista, nachdem sie 2007 von einer lokalen NGO darüber informiert worden war, dass in jenem Jahr an den Stränden von Boa Vista mehr als 1200 Schildkröten geschlachtet wurden, und nachdem sie in dieser verzweifelten Situation um Hilfe gebeten worden war. Dank der Patrouillen und des Schutzes der Turtle Foundation konnte 2008 die Zahl der getöteten Tiere allein am Strand von Porto Ferreira von 600 im Jahr 2007 auf 60 im Jahr 2008 reduziert werden. Im Jahr 2009 wurde die Gesamtmortalität auf Boa Vista auf 220 Tiere geschätzt. Durch die schrittweise Einbeziehung bisher ungeschützter Strände könnte die Schildkrötensterblichkeit in den folgenden Jahren weiter reduziert werden. An Stränden, die von der Turtle Foundation geschützt werden, wurden zwischen 2011 und 2017 jährlich 5-21 Schildkrötensterben verzeichnet. Diese Zahlen spiegeln jedoch nicht das wahre Ausmaß der Situation wider, da sie wichtige Strände, die von anderen NGOs überwacht werden, und die übrigen Strände, die noch überhaupt nicht überwacht werden, nicht einschließen und nur dokumentierte Vorfälle von Wilderei berücksichtigen. Schildkröten, die unbemerkt von den Stränden mitgenommen und anderswo geschlachtet wurden, wurden nicht berücksichtigt. Darüber hinaus haben die allgemeinen Wildereiaktivitäten in den letzten Jahren wieder zugenommen.
Seit Beginn ihrer Strandpatrouillentätigkeit auf Boa Vista hat die Turtle Foundation sich verstärkt um Begleitprogramme bemüht, um die Nachhaltigkeit ihres Schutzprojekts zu gewährleisten. Zu diesen Programmen gehören Aktivitäten zur Umwelterziehung, Programme zur Identifizierung und Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten und das Eintreten für Aktivitäten bei der lokalen Regierung und anderen Interessengruppen. Es liegt jedoch noch ein langer Weg vor uns, bis die Unechten Karettschildkröten sicher an den Stränden von Boa Vista nisten können und sich die erschöpfte Schildkrötenpopulation erholen kann.
Aktuelle Zahlen
Projektstandort
Übersicht
Start des Programms: 2008
Art im Fokus: Unechte Karettschildkröte
Ort: Boa Vista, Kap Verde
Projekte
– Konventioneller Strandschutz: Patrouillen mit Rangern und Volontären
– Den Wilderern auf der Spur – mit Drohnen und Hunden
– Meeresschildkrötenschutz auf See: Erforschung und Sicherung der küstennahen Paarungsgebiete
– Gesellschaftliches Engagement: Naturschutz Hand in Hand mit der Bevölkerung
Konventioneller Strandschutz: Patrouillen mit Rangern und Volontären
Die Überwachung und der Schutz der Strände werden von fünf temporären Feldstationen vor Ort durchgeführt. Entsprechend ihres Standorts werden diese Stationen Boa Esperança-Lager, Canto-Lager, Cruz do Morto-Lager, Lacacão-Lager und Curral Velho-Lager genannt. Jedes Lager wird von einem Team aus einem Lagerkoordinator und einem Feldkoordinator geleitet, mit Ausnahme der Lager Cruz do Morto und Curral Velho, die aufgrund der geringen Anzahl der in diesen beiden Lagern anwesenden Personen nur einen Lagerkoordinator hatten. Die Lager werden ab Mitte bis Ende Mai eingerichtet und sind bis Ende Oktober in Betrieb.
Seit 2009 engagieren wir nationale und internationale Freiwillige, die die Ranger bei der Strandpatrouille unterstützen.
Insgesamt werden derzeit etwa 30 km Niststrände direkt von Teams der Turtle Foundation überwacht (gemeindebasierte Projekte nicht eingeschlossen; siehe unten), die 9 Unechte Karettschildkröten-Niststrände oder damit verbundene Strandgebiete geschützt haben.
Die Strände werden während der ganzen Nacht, vom Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang, patrouilliert. Die Patrouillen werden in Schichten (mindestens 4 Stunden) durchgeführt.
Darüber hinaus unterstützt und beaufsichtigt die Turtle Foundation die beiden gemeindebasierten Schutzprojekte “Projeto Varandinha” und “Projeto Bofareira”, die von den lokalen Organisationen Associação Varandinha de Povoação Velha (AVPV; Vereinigung Varandinha in Povoação Velha) und Associação Onze Estrelas da Bofareira betrieben werden. Das Projeto Varandinha schützt Strände von insgesamt etwa 8 km Länge im Süden und Südwesten von Boa Vista (Curralinho, ein Teil von Santa Monica, und Varandinha, logistisch unterteilt in Varandinha I und Varandinha II), während das Projeto Bofareira etwa 1 km Niststrand im Norden der Insel (von Ponta Antónia bis Ponta Altar) patrouilliert.
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Den Wilderern auf der Spur mit Drohnen und Hunden
Hintergrund
Auf den Kapverden lebt eine stark gefährdete Population der Unechten Karettschildkröte (Caretta caretta). Die Reptilien werden bis heute aufgrund ihres Fleisches bejagt und getötet.
Um die Wilderei weiter reduzieren zu können, haben wir 2018 ein Projekt gestartet, um alternative Schutzmethoden auf der Insel Boa Vista zu entwickeln und einzuführen. In enger Zusammenarbeit mit der lokalen Naturschutzbehörde and der Polizei leisten wir als Turtle Foundation bzw. unser lokaler Umsetzungspartner Fundação Tartaruga umfangreiche fachliche, finanzielle und personelle sowie logistische und technische Hilfe.
Das Projekt umfasst den Einsatz von Artenschutzhunden und moderner Nachtsichttechnik, die aus Drohnen und Nachtsichtgeräten besteht. Diese setzen wir im Rahmen abgestimmter Einsatzkonzepte und Strategien professionell ein. Hierbei verfolgen wir das Ziel, Wilderer bereits im Vorfeld abzuschrecken und – wenn dies nicht hilft – die Strafverfolgung durch die Behörden zu unterstützen.
Besonderheiten und Möglichkeiten des Teams
Hunde haben einen hoch entwickelten Geruchssinn, der es ihnen ermöglicht, verborgene Gegenstände aufzuspüren und Geruchsspuren zu verfolgen. Dank ihrer hervorragenden Fähigkeit, akustische und olfaktorische Eindrücke wahrzunehmen, sind sie die ideale Ergänzung zum Menschen, wenn es darum geht, trotz Dunkelheit schwer einsehbare Situationen zu erkennen. Aufgrund dieses Profils können Artenschutzhunde zum Beispiel bei der Aufspürung und Verfolgung von Wilderern wertvolle Dienste leisten. Auch an Niststränden der Meeresschildkröten werden Hunde zunehmend zu Such-, Überwachungs- und Schutzzwecken eingesetzt.
Die Ausbildung unserer Hundeführer und Artenschutzhunde erfolgt durch einen erfahrenen Hundetrainer aus Deutschland. Der Hundetrainer verbringt mehrere Wochen pro Jahr im Projekt und begleitet das Team zusätzlich durch Online-Schulungen.
Die wichtigste Aufgabe der Hunde ist es, bei Strandpatrouillen größere Gebiete abzusuchen, um unbefugte Personen aufzuspüren. Außerdem sind sie speziell auf das Aufspüren von Schildkrötenfleisch trainiert und können dieses im Gepäck von Reisenden in Häfen und Flughäfen sowie in häuslichen Umgebungen wie Häusern, aber auch Autos finden. Die Hunde sind ebenfalls im Mantrailing ausgebildet. Das bedeutet, dass sie in der Lage sind, Wilderer aufzuspüren, die am Tatort Gegenstände wie Kleidung, Messer oder Seile zurückgelassen haben, da an denen ihr Geruch haftet. Diese Eigenschaft nutzen wir, um die örtlichen Strafverfolgungsbehörden bei der Aufspürung und Verfolgung von Wilderern zu unterstützen.
Effiziente Methode zur Eindämmung von Wilderei
Mit der Kombination aus speziell dafür ausgebildeten Artenschutzhunden und Hundetrainern sowie moderner Drohnentechnologie haben wir eine neue operative Strategie zur Verhinderung von Wilderei entwickelt. Dies verbesserte die Effizienz der Patrouillen und reduzierte auch die dichten und teuren Strandpatrouillen. Das Hunde- und Drohnenteam patrouilliert nun insgesamt 66 Strandkilometer in fünf Schutzgebieten auf der Insel Boa Vista.
Erfolge, die sich sehen lassen können
Im ersten Jahr nach Projektbeginn sank die Zahl der registrierten getöteten Schildkröten um fast 90 % von 4,5 % auf 0,5 %. Die Rate ging weiter zurück und lag in der Nistsaison 2022 bei 0,3 %. Darüber hinaus wurden drei Wilderer von der Polizei verhaftet, was auf die Aktivität unseres Hunde- und Drohnenteams zurückzuführen ist. Für den deutlichen Rückgang der Wilderei in den letzten Jahren können verschiedene Aspekte eine Rolle spielen, wie etwa eine gesetzliche Verschärfung der Strafen für Wilderei und die Ausweitung von gesellschaftlichem Engagement durch NGOs. Wir haben jedoch aus direkten Quellen wie den Aussagen ehemaliger Wilderer erfahren, dass das deutlich erhöhte Risiko, erwischt zu werden, potenzielle Täter regelmäßig von ihrem Vorhaben abhielt.
Stetige Weiterentwicklung seit Einführung des Teams
Während viele der Projektansätze experimentell und neu für den Meeresschildkrötenschutz waren, haben sich die Strategien und Abläufe in den letzten fünf Jahren deutlich verbessert. Die guten Beziehungen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden wurden weiter vertieft und die Teammitglieder mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen zu einer erfahrenen und effektiven Einheit zur Bekämpfung der Meeresschildkrötenwilderei zusammengeschweißt.

Flugtraining mit der Nachtsichtdrohne bei Tag, um Koordination und Steuerung zu üben

Trainingseinheit des Hunde- und Drohnenteams mit der Nachtsichtdrohne

Das aktuelle Hunde- und Drohnenteam auf Boa Vista nebst Hundeführer (2.v.r.) und drei Artenschutzhunden (Stand Dezember 2022)

Artenschutzhündin Karetta trainiert ihre Nase im Aufspüren von Schildkröten

Mitglieder des Hunde- und Drohnenteams bei der Bedienung der Drohne

Artenschutzhündin Karetta beim Aufspüren eines Schildkrötenkadavers

Artenschutzhund Kelo bei der Arbeit auf Boa Vista
Meeresschildkrötenschutz auf See
Hintergrund
Die drastische Eindämmung der ehemals massiven Wilderei auf Meeresschildkröten an den Stränden Boa Vistas während der letzten fast eineinhalb Dekaden ist eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes auf den Kapverden. Die Meeresschildkröten werden allerdings nicht nur auf den Stränden gejagt – auch im Meer sind sie nicht sicher. Zum einen fallen sie in großer Zahl als unbeabsichtigter Beifang der industriellen Fischerei zum Opfer. Aber auch die einheimische, handwerkliche Fischerei fordert ihren Tribut, denn traditionell werden dort auch Meeresschildkröten nicht verschmäht und daher, im Gegensatz zur industriellen Fischerei, gezielt bejagt. Es ist sogar anzunehmen, dass sich dieses Problem derzeit zunehmend verstärkt, gerade weil der Schutz der Schildkröten an den Stränden so erfolgreich ist. Es lohnt sich dadurch nun immer mehr, den noch bestehenden Bedarf nach Schildkrötenfleisch durch die im Vergleich zu den Stränden deutlich schwierigere Jagd auf See zu decken. Da die Fischer auf See aber derzeit nicht kontrolliert werden, kann das wahre Ausmaß der Wilderei auf dem Meer bislang nur schwer geschätzt werden. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es sich hier um eine signifikante Bedrohung der Bestände handelt. Seit 2018 arbeiten wir eng mit der Meeresschutzorganisation MarAlliance zusammen, um auch diesem Problem zu begegnen. Hierzu verfolgen wir zur Zeit hauptsächlich zwei Ansätze:
Erforschung der küstennahen Paarungsgebiete und Wanderwege der Unechten Karettschildkröte vor Boa Vista
Um die Schildkröten erfolgreich auf See schützen zu können, ist es natürlich wichtig zu wissen, wo sie dort hauptsächlich vorkommen. Insbesondere die küstennahen Paarungsgebiete sind von besonderem Interesse. Hier treffen sich die männlichen und weiblichen Schildkröten in zeitlich begrenztem Rahmen auf relativ engem Raum in hoher Dichte, nachdem sie lange von den teils sehr weit entfernten Futterplätzen, an denen sie die meiste Zeit ihres Lebens verbringen, dorthin gewandert sind.
An diesen Orten findet wenige Wochen vor der Eiablage bis in die eigentliche Nistsaison hinein die Paarung der Schildkröten statt. Es bewegen sich dann nicht nur viele Tiere auf engem Raum, leider verlieren sie im Hormonrausch auch ihre typische Aufmerksamkeit und Fluchtbereitschaft, und sie können daher besonders leicht erbeutet werden. Aus diesem Grund benötigen wir eine möglichst genaue Kenntnis und Kartierung der Paarungsgründe, um zu wissen, wo wir die Schildkröten schützen müssen. Die Schwerpunkte von Schutzmaßnahmen wie etwa Seepatrouillen lassen sich sogar noch weiter eingrenzen vor dem Hintergrund, dass nicht das gesamte Paarungsgebiet regelmäßig von den Fischern genutzt wird, sondern nur diejenigen Bereiche, wo sie ihre eigentlichen Zielarten finden. In den Weiten der Küstengewässer von Boa Vista können diese Überschneidungsbereiche zwischen den Paarungsgründen der Schildkröten und der Hauptaktivität der handwerklichen Fischerei dann gezielt und effektiv geschützt werden.
Ein erster Ansatz zur Erforschung der Paarungsgebiete wurde von Alexander “Zeddy” Seymour von MarAlliance im Jahr 2018 unternommen. Die Studie verwendete Unterwasser-Video sowie systematische Beobachtungen an der Wasseroberfläche an zuvor definierten Transsekten zur Erfassung der Häufigkeit von Schildkröten im Beobachtungsgebiet. Weiterhin wurden Fischer zu ihren Beobachtungen sowie zu Ort, Art und Dauer ihrer Aktivität befragt. Die Ergebnisse lieferten eine vorläufige Bewertung zur Nutzung der Küstengebiete vor den Niststränden einschließlich der Überlappung der Paarungsgebiete der Unechten Karettschildkröten mit der handwerklichen Fischerei. Ein Zwischenbericht zu dem Projekt aus dem Jahr 2018 empfiehlt nachdrücklich, die lokalen Fischer besser in den Schutz der Meeresschildkröten einzubeziehen. Leider wurde das Projekt durch den tragischen Tod von Zeddy Seymour im Sommer 2019 und den Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 vorübergehend unterbrochen, konnte aber dann ab der Nistsaison 2020 mit Anpassungen an die neue Situation fortgesetzt werden.
Ein beliebtes Ziel der Wilderei auf See sind die männlichen Schildkröten. Deren Penis wird als vermeintliches Aphrodisiakum teuer gehandelt. Da die Männchen im Gegensatz zu den Weibchen niemals das Wasser verlassen, können sie auch nur dort gefangen werden. Die männlichen Meeresschildkröten befinden sich gegenüber den Weibchen deutlich in der Unterzahl und aufgrund der besonderen Brutbiologie ist zu befürchten, dass sich mit der Klimaerwärmung das Geschlechterverhältnis weiter zu Ungunsten der Männchen entwickeln wird, bis schließlich zu wenige Männchen vorhanden sind, um alle Weibchen erfolgreich befruchten zu können. Daher stellt das gezielte Töten der Männchen eine ernste Gefahr für die Population dar. Ein weiteres Projekt beinhaltet daher die Erforschung der Aufenthaltsorte und Wanderwege der männlichen Schildkröten mithilfe von Satellitensendern. Eine erste Schildkröte wurde noch von Zeddy Seymour im Juni 2019 besendert, deren Wanderwege wir bis in den Januar 2020 beobachten konnten. Drei weitere Schildkröten wurden im Jahr 2020 mithilfe von Mitarbeitern von MarAlliance markiert. Alle drei Tiere liefern bis in die Gegenwart (Stand Mai 2021) wertvolle Daten! Zwei Tiere bewegen sich wie das 2019 markierte Tier in einem weiten Gebiet in den offenen ozeanischen Gewässern zwischen Boa Vista und der Westküste von Afrikas Festland. Besonders interessant ist aber das Verhalten von einem Männchen, das auch nach inzwischen fast einem Jahr nicht nur die Gewässer um Boa Vista nicht verlassen hat, sondern sich auch seither kaum mehr als ein paar Kilometer von der Stelle, an der sie gefangen wurde, wegbewegt hat. Wir sind schon sehr gespannt auf die Auswertungen der Ergebnisse!
Verstärkte Zusammenarbeit mit den Fischern Boa Vistas im Rahmen unseres gesellschaftlichen Engagements
Partnerschaften mit lokalen Fischern können einen praktischen Weg bieten, um mit den Fischern insgesamt besser zu interagieren und eine stärkere Beteiligung der Fischer am Schutz der Meeresschildkröten und an der Forschung zu fördern. Es gibt auf Boa Vista etwa 70 Fischerboote, die in den küstennahen Gewässern unterwegs sind. Um die Fischer in unsere Projektarbeit einzubeziehen, haben wir eine Kooperation mit zunächst sechs Fischern begonnen, die uns bei Datenerhebungen im Meer und beim Besendern von Schildkröten helfen. Im Gegenzug erhielten sie eine Sicherheitsausstattung für ihre Boote und Arbeitskleidung mit individuellen Motiven von Meeresbewohnern wie Kraken, Walen und natürlich Schildkröten. Wir hoffen sehr, mit diesem ersten Schritt einen Weg zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den lokalen Fischern zu ebnen, der sowohl den Fischern als auch den Meeresschildkröten zugutekommt.
Über das bisher genannte hinaus ist allerdings auch die industrielle Fischerei auf hoher See ein sehr großes Problem für die Schildkröten, der wahrscheinlich jährlich tausende von Schildkröten zum Opfer fallen. Wir haben in einem Beitrag (Link) schon einmal darauf hingewiesen. Derzeit befinden wir uns Gespräch mit einer Arbeitsgemeinschaft zur Reduktion von Beifang an Seevögeln und Meeresschildkröten vor der Küste Westafrikas, an der MAVA, BirdLife International und weitere internationale und ansässige Organisationen beteiligt sind.

Die erste männliche Schildkröte, die 2019 im Meer gefangen und mit einem Satellitensender versehen wurde. Sie erhielt den Namen “João” und lieferte ein halbes Jahr lang wertvolle Daten.

Freilassung einer frisch besenderten männlichen Schildkröte im Mai 2020. (Bild: MarAlliance)

Wanderweg der Schildkröte “Djalo” in den ersten Tagen nach der Besenderung im Mai 2020. (Grafik: MarAlliance)

Männliche Unechte Karettschildkröte vor Boa Vista. Die Männchen sind an dem langen Schwanz gut zu erkennen. (Bild: Zeddy Seymour, MarAlliance)

Ein Eisengestell wird von Zeddy Seymour mit einer Unterwasserkamera und Köder bestückt, um danach von einem Taucher auf dem Meeresgrund aufgestellt zu werden (Fachausdruck: Baited Remote Underwater Video, BRUV). Die Kamera wird alle Tiere filmen, die in den folgenden Stunden von dem Köder fressen.

Die Karte zeigt farbkodiert die Schwerpunkte von Schildkrötensichtungen vor den Niststränden im Osten von Boa Vista zusammen mit den von Fischern genutzten Meeresgebieten. (Grafik: Zeddy Seymour, MarAlliance)
Gesellschaftliches Engagement
Hintergrund
Nachhaltiger Naturschutz steht nicht für sich allein, sondern kann nur in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung stattfinden. Aus diesem Grund war es für uns als Turtle Foundation schon immer ein großes Anliegen, auch dem partizipativen Aspekt unserer Arbeit besondere Beachtung zu schenken. In Zusammenarbeit mit zwei weiteren NGOs zum Schutz von Meeresschildkröten auf Boa Vista, haben wir uns unter dem Namen Projeto Tartaruga besonders stark engagiert.
Auf dem Weg, nachhaltige Möglichkeiten aufzutun, um der illegalen Jagd auf nistende Schildkrötenweibchen ein Ende zu bereiten, war es wichtig, Projekte für die Einheimischen zu initiieren, die ihnen ein unabhängiges Einkommen ermöglichen und sie insgesamt für das Thema sensibilisieren.

Projekte
Kostenlose Schwimmkurse
Bei einer Umfrage auf der kapverdischen Insel mussten wir feststellen, dass nur etwa 14 % der Kinder und Jugendlichen gut genug schwimmen können, um sich sicher im Meer aufzuhalten. Dieses erschreckende Ergebnis machte uns klar, dass häufig eben auch die positive Verbindung zum Meer fehlte, um sich für dessen Schutz einzusetzen. Unser Anspruch, etwas an diesem Zustand zu verändern, war geboren.
Nach der Ausbildung von Schwimmlehrerinnen und -lehrern führten wir einen kostenlosen Kinderschwimmkurs auf Boa Vista ein, der nach mittlerweile zwei erfolgreichen Jahren auch 2023 wieder fortgesetzt werden wird. Knapp 200 Kinder konnten wir bisher mit Schwimmabzeichen für absolvierte Kurse, unserem Gedächtnisspiel GANDA und Urkunden auszeichnen.
Neben klassischen Unterrichtsstunden im Schwimmen und Schnorcheln enthalten die Kurse auch spielerische Elemente der marinen Umweltbildung. Das Schwimmtraining selbst ist in zwei Kurseinheiten von jeweils drei Monaten aufgeteilt.
Atelier Tarafes
Nähen für selbstbestimmte, unabhängige Einnahmequellen: Eine Frauengruppe im Dorf Cabeça dos Tarafes haben wir mit Nähkursen und entsprechender technischer Ausrüstung unterstützt. Dadurch war es den Frauen des Atelier Tarafes möglich, Aufträge aus der Bevölkerung anzunehmen, die sie unabhängig vom Tourismus machen. So wurden in der Vergangenheit bereits Schuluniformen, Arbeitskleidung und Atemschutzmasken für öffentliche Auftraggeber wie Einrichtungen oder die Lokalregierung angefertigt. Einen weiteren Kurs von einer professionellen Damenschneiderin haben wir ebenfalls für das mittlerweile erfolgreiche Nähstudio finanziert. Mit dieser Unterstützung können nun auch Auftrage aus den Bereichen der Hochzeits- oder Abendkleidung angenommen werden.
Frauen-Kooperative TAMBRA
Im Dorf João Galego haben wir vor ein paar Jahren eine Frauenkooperative unter dem Namen TAMBRA ins Leben gerufen. Hintergrund ist, dass auch Frauen Teil des illegalen Handels mit Schildkrötenfleisch auf Boa Vista sind, da es in der Regel diese sind, die das Fleisch einkochen und verkaufen. Mit der Anleitung zur Produktion und Vermarktung von eingemachten Gemüse-Chutneys und Naturseifen bieten wir den Frauen von TAMBRA eine nachhaltige Alternative zur Beteiligung an der Schildkrötenwilderei. Die Turtle-Foundation-Seifen, die wir über unseren Webshop anbieten, entstammen übrigens ebenfalls dieser kleinen Manufaktur im Nordosten der kapverdischen Insel.
Regelmäßige Strandsäuberungsaktionen
Die Strände Boa Vistas leiden unter einem massiven Müllaufkommen. Angeschwemmte Überbleibsel unserer Zivilisation, die es den nistenden Weibchen der Unechten Karettschildkröte besonders schwer machen, an Land zu kommen und ihre Eier zu legen. Aus diesem Grund veranstalten wir in regelmäßigen Abständen in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und unserem Team der Fundação Tartaruga großangelegte Strandreinigungsaktionen. Doch was geschieht mit dem angespülten Müll von den Niststränden? Momentan planen wir den Aufbau eines eigenen Recyclingprojekts, um einfache Gegenstände des täglichen Lebens aus den Fundstücken zu fertigen.
Kooperation mit Fischern
Eine weitere wichtige Zielgruppe unseres gesellschaftlichen Engagements zum Schutz der Meeresschildkröten sind die Fischer von Boa Vista. Es gibt etwa 70 Fischerboote, die in den küstennahen Gewässern unterwegs sind. Bisher ist noch wenig darüber bekannt, in welchem Ausmaß die Jagd auf Schildkröten im Meer zur Dezimierung der Art beiträgt. Um die Fischer in unsere Projektarbeit einzubeziehen, haben wir eine Kooperation mit zunächst sechs Fischern begonnen, die uns bei Datenerhebungen im Meer und beim Besendern von Schildkröten helfen. Im Gegenzug erhielten sie eine Sicherheitsausstattung für ihre Boote und Arbeitskleidung mit individuellen Motiven von „Meeresbewohnern“ wie Kraken, Walen und natürlich Schildkröten.

Nähgruppe in Cabeçã dos Tarafes

Bildung durch Musik. Gitarren für die lokale Schule.

Ein Strandabschnitt wird vom Plastikmüll befreit