Industrielle Fischereischiffe vor den Küsten Westafrikas bringen abertausenden Meeresbewohnern den Tod. Ein Vertreter der Turtle Foundation war auf einer Konferenz im Senegal, die sich mit diesem drängenden Thema beschäftigt. Es gäbe Möglichkeiten, den verheerenden Beifang deutlich einzudämmen – allein der politische Wille fehlt.

Was klingt wie ein schlechter Scherz, ist leider bittere Realität: Unter Einsatz aller Kräfte werden Jahr für Jahr nistende Meeresschildkröten von unseren engagierten Mitarbeitern und zahlreichen Freiwilligen an den Stränden von Boavista umsorgt und vor Wilderern gerettet, um dann nur wenige Kilometer vor der Küste durch EU-subventionierte industrielle Fischereischiffe getötet zu werden. „Beifang“ lautet der fast schon zynisch wirkende Name für dieses Phänomen, besser bekannt unter dem englischen Begriff: Bycatch.

Beifang, das klingt wie eine Nebensächlichkeit, halb so wild. Tatsächlich ist die Anzahl jener Lebewesen, die auf diese Weise „nebenbei“ in den Fischernetzen und an Langleinen gefangen werden und noch dort oder spätestens an Bord der Schiffe verenden, gewaltig. Rechnet man die Beifang-Zahlen einzelner Boote pro Tag nur vorsichtig hoch*, so könnten insgesamt zehntausende Meeresschildkröten jedes Jahr allein in den westafrikanischen Gewässern auf diese Weise getötet werden. Hinzu kommen nochmals etliche Seevögel, Delphine und andere Bewohner von Meer und Küsten.

Ganz besonders schockiert hat uns dabei die Beteiligung der Europäischen Union – und dass deren Regularien in Bezug auf den Fischerei-Beifang deutlich lascher ausfallen als beispielsweise die von Südafrika oder auch den USA. Tiefgreifende Einblicke in diese Problematik lieferte ein Besuch auf einer Fachkonferenz in Somone, Senegal, zu der die Turtle Foundation Ende Mai 2018 eingeladen wurde.

Beifang minimieren? Zum Hintergrund des Projekts

„Minimising bycatch of seabirds and sea turtles in West African industrial fisheries”, unter diesem Motto stand die Konferenz, zu der die MAVA Foundation und BirdLife International im Zuge eines laufenden Projektes zu diesem Thema eingeladen hatten. Beifang von Seevögeln und Schildkröten stellt nach gängigen Erkenntnissen derzeit die größte Bedrohung für ebendiese Tiere dar. Im Rahmen des Projekts werden insbesondere Industriefischereien adressiert, die in den Gewässern von Mauretanien, Senegal, Gambia, Guinea-Bissau, Guinea, Sierra Leone und auch den Kapverden tätig sind – und es wird gefragt, welche Maßnahmen konkret Wirkung zeigen. Als Ziel soll der Beifang bis 2022 um 80 % reduziert werden. Realistisch scheint dies nach aktueller politischer Lage jedoch leider keineswegs.

Allein eine Verschärfung der geltenden Fischerei-Regularien würde hier bereits eine deutliche Verbesserung bringen. Wenn bekannt ist, welche Boote, Netztypen und andere Umstände besonders hohe Beifang-Quoten verzeichnen, könnten die Fischereimethoden rigoros angepasst werden. Aufklärung der örtlichen Fischer und die Ausbildung unabhängiger Beobachter vor Ort wären nur einige Beispiele eines möglichen Maßnahmenkatalogs – wobei auch hier nicht die handwerklichen Fischer das eigentliche Problem darstellen, sondern die industrielle Fischerei.

Ein Problem: Verlässliche Daten und Informationen sind hier kaum zu bekommen. Wie viele industrielle Fischerboote wo genau unterwegs sind, in welchem Land sie angemeldet sind, welche Gebiete sie abdecken, welche Fischernetze, Langleinen und andere Methoden sie nutzen und wie hoch der Beifang je Boot konkret ausfällt, ist nicht einheitlich erfasst. So kann aber nicht nur das aktuelle Ausmaß nur geschätzt werden – auch die Frage nach Verbesserungsmaßnahmen lässt sich ohne handfeste Daten nur schwer beantworten.

Was die EU mit dem Tod von Meeresschildkröten zu tun hat

Doch selbst, wenn genaue Zahlen fehlen, lassen grobe Schätzungen nichts Gutes erahnen. Besonders verheerend scheint die Situation ausgerechnet auf den Kapverden zu sein – also dort, wo die Turtle Foundation im Einsatz ist, um bedrohte Meeresschildkröten zu schützen. So sind die Kapverden sogar das einzige westafrikanische Land, das keine einheimischen Fischerei-Beobachter auf die ausländischen Schiffe entsendet.

Und hier kommt die EU ins Spiel: Denn die industrielle Fischerei ist auch auf den Kapverden vornehmlich eine der Europäischen Union – bezahlt vom europäischen Steuerzahler. Tommy Melo von der örtlichen Schutzorganisation Bisofera 1 hat uns Einblicke gegeben, wie verheerend die Ausmaße tatsächlich sind: In einer bereits 2013 veröffentlichten Arbeit auf Basis von Interviews mit lokalen Fischern, die zeitweise auf EU-Schiffen gearbeitet haben, erklären sein Vater José und er, wie europäische Langleinen-Fischer die Population von Meeresschildkröten und auch Haien in kapverdischen und anderen westafrikanischen Gewässern massiv gefährden. Die auf den Kapverden nistende Unechte Karettschildkröte ist dabei besonders betroffen.

Im Beobachtungszeitraum hatten über 70 EU-Schiffe die Genehmigung, in drei bis sechs Monaten pro Jahr in kapverdischen Gewässern zu fischen; davon bedienten sich 35 der besonders problematischen Langleinen-Methode. Aus den Ergebnissen der Interviews errechneten die Autoren, dass pro Langleinen-Fischzug, wovon pro Tag meist ein bis drei stattfinden, im Schnitt etwa vier Meeresschildkröten, meist Unechte Karettschildkröten, gefangen werden. Die meisten Schildkröten waren schon tot, als sie auf die Schiffe gehievt wurden. Falls die Tiere dennoch lebten, wurden sie entweder getötet oder mitsamt lediglich abgeschnittenen Haken über Bord geworfen – die fachgerechte Entfernung der Haken kostet einfach nur Zeit und damit Geld! Und um den Skandal komplett zu machen: Teilweise wurde sogar das Fleisch der Meeresschildkröten illegal in den Häfen auf Kap Verde verkauft! Aus den Zahlen lässt sich leicht errechnen, dass durch diese EU-finanzierte Fischereiflotten wahrscheinlich jährlich zehntausende Meeresschildkröten in den westafrikanischen Gewässern den Tod finden. Diese stellte eine erhebliche Bedrohung für den Fortbestand dieser hochbedrohten Art dar.

Was tut die Turtle Foundation – und was kann ich tun?

Das Thema Beifang in der industriellen Fischerei ist für uns selbstverständlich nicht neu. Die tatsächlichen Ausmaße des Problems und insbesondere die Beteiligung der Europäischen Union an diesem haben uns allerdings tief erschüttert. Deshalb möchten wir alles daran setzen, um diesen skandalösen Umstand ins öffentliche Bewusstsein zu bringen – und die zuständigen Politiker zu umgehenden Änderungen zu drängen. Dazu müsste zum einen unbedingt eine Verschärfung der bis dato völlig unzureichenden Regularien gegen massenhaften Beifang erfolgen. Auf allen Schiffen müssen unabhängige Beobachter vorhanden sein, die jegliches Fehlverhalten protokollieren und auch die Befugnis haben, zugunsten der Einhaltung von Fischereivorschriften und zum Abwenden von Schaden an den marinen Ökosystemen regulative Maßnahmen zu treffen. Allein an Mauretanien zahlt die Europäische Union 60 Millionen Euro pro Jahr an Steuergeldern dafür, dass industrielle Fangschiffe aus den EU in ihren Gewässern fischen dürfen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die EU auf diese Weise das Artensterben in den westafrikanischen Gewässern finanziert!

Aktuell fehlen uns noch die Mittel für eine umfassende Kampagne. Wer uns unterstützen möchte, kann dies finanziell durch eine Spende und natürlich auch ideell durch Teilen unserer Beiträge auf dieser Seite oder via Twitter und Facebook tun. Außerdem möchten wir allen die Seite unserer Kollegen von BirdLife ans Herz legen, die schon länger tolle Aufklärungsarbeit leisten und eine Liste mit relevanten politischen Ansprechpartner bereitstellen – sie sitzen mit uns wortwörtlich im selben Boot: OceanAlert. Bitte nutzen Sie die Twitter-Links auf dieser Seite, um die Politiker zum baldigen Beenden des Beifang-Skandales aufzurufen!

* Tommy Melo hat eine wichtige Arbeit mit erschreckenden Ergebnissen zum Thema Beifang von Meeresschildkröten in den Gewässern der Kapverden vorgelegt, die unter www.seaturtle.org/mtn/archives/mtn138/mtn138-6.shtml nachgelesen werden kann. Mehr zu Tommy Melos Schutzprojekten auf den Kapverden unter www.biosfera1.com.

Bild ganz oben: All you need is Biology
Text: Katharina Cichosch, Thomas Reischig