Vor wenigen Tagen erreichte uns eine sehr traurige Nachricht. Dutzende Menschen wurden vergiftet, nachdem sie am Sonntag, den 18. Februar 2018, während eines traditionellen Festes auf der indonesischen Insel Siberut gemeinschaftlich das Fleisch einer Meeresschildkröte verzehrt hatten. Drei Menschen starben in den darauf folgenden Tagen an der Vergiftung. Zwei der Opfer waren kleine Kinder, das dritte Opfer ein älterer Mann. Sechzehn weitere Menschen mussten dringend vor Ort medizinisch versorgt werden.

Der Verzehr des Fleisches von Meeresschildkröten ist in Indonesien wie in den meisten Ländern aus Gründen des Artenschutzes verboten, was von uns dort intensiv vertreten wird, allerdings wird dies an vielen Orten immer noch vielfach praktiziert. Weniger bekannt ist dabei, dass durch den Genuss von Schildkrötenfleisch schwere, sogar tödliche Vergiftungen auftreten können. Dies wurde Bewohnern des Dorfes Taileleu im Süden der Insel Siberut vor West-Sumatra zum Verhängnis, die im Zuge einer Festlichkeit eine Meeresschildkröte verzehrten, die sie tags zuvor in den Gewässern vor der Insel gefangen hatten. Nach dem Genuss des Fleisches erlitten zahlreiche Personen teils schwere Symptome wie Schwindel, Erbrechen, Atemnot und starke Hals- und Bauchschmerzen. Im Laufe der folgenden drei Tage starben jeweils ein zweieinhalbjähriges Mädchen, ein 65-jähriger Mann und ein vierjähriger Junge. Mindestens 16 weitere Menschen benötigten dringende medizinische Hilfe, die durch die lokale Gesundheitsbehörde „Dinas Kesehatan Mentawai“ organisiert wurde. Die medizinische Versorgung ist in dem abgelegenen Gebiet schwierig, zusätzliche Hilfe und ein Arzt trafen erst Tage später ein. Nach den Daten der Gesundheitsbehörde waren mindestens 95 Menschen von der Vergiftung betroffen.

Chelonitoxism case Siberut 2018-02-18

Opfer der Massenvergiftung durch Schildkrötenfleisch werden in der Gemeinschaftshalle des Dorfes Taileleu behandelt. Bild: lokale Gesundheitsbehörde

Die Opfer sind Angehörige des Volkes der Mentawai, von denen viele auf noch sehr ursprüngliche Weise auf den Mentawai-Inseln vor West-Sumatra in Indonesien leben, zu denen auch Siberut gehört. Meeresschildkröten werden von den Mentawai vor allem zu festlichen und rituellen Anlässen wie etwa Hauseinweihungen und Hochzeiten verzehrt. In vielen Häusern findet man die Panzer getöteter Meeresschildkröten, die dort als Glücksbringer dienen sollen.

Vergiftungen durch Fleisch von Meeresschildkröten treten eher selten auf, können dann aber zu sehr gefährlichen und teils auch tödlichen Massenvergiftungen führen. Die Erkrankung trifft am härtesten Kinder und ältere oder anderweitig geschwächte Menschen, aber auch gesunde Erwachsene bleiben nicht verschont. Das Phänomen wird in der Wissenschaft als „Chelonitoxismus“ bezeichnet. Über die eigentlichen Ursachen ist noch sehr wenig bekannt. Möglicherweise spielen Gifte eine Rolle, die von den Schildkröten über Algen aufgenommen werden. Die Möglichkeit von Vergiftungen durch Schildkrötenfleisch ist den Mentawai auf Siberut nicht gänzlich unbekannt. Spezielle Riten sowie das vorherige Verfüttern von Schildkrötenfleisch an Haustiere sollen Erkrankungen abwenden. In der Tat starben bei dem Vorfall auch etwa 10 Katzen, die Reste der Schildkrötenmahlzeit gefressen hatten. Dies verhinderte aber nicht mehr den tödlichen Ausbruch der Erkrankung.

Chelonitoxism case Siberut 2018-02-18

Folgend eines Facebook-Berichtes aus Siberut vom 18. Februar 2018 ist dies wahrscheinlich die Schildkröte, deren Verzehr die Massenvergiftung auslöste.  Bei dem abgebildeten Tier handelt es sich um das Weibchen einer Grünen Meeresschildkröte (Chelonia mydas); die Eier im Bauchraum deuten darauf hin, dass das Tier an den Stränden von Siberut nisten wollte.

Besonders tragisch in diesem Fall ist, dass wir erst Mitte des Jahres 2017 im betroffenen Gebiet durch eine Feldstudie auf den lokal besonders häufigen Verzehr von Schildkrötenfleisch aufmerksam wurden. Die Turtle Foundation untersucht seither Möglichkeiten, auf Siberut in Zusammenarbeit mit Gemeindevorstehern und lokalen Behörden eine Aufklärungskampagne zu den Themen Konsum von Schildkrötenfleisch und -eiern sowie Chelonitoxismus zu starten. Leider kommt dies für drei Menschen zu spät. Der vorliegende Fall bestätigt die Dringlichkeit von Aufklärungsmaßnahmen – nicht nur für den Erhalt der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten, sondern auch für Leben und Gesundheit der Menschen der Mentawai-Inseln. Wir sprechen den Angehörigen der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aus und wünschen den überlebenden Erkrankten baldige Genesung.

Bild ganz oben: Ein Vergiftungsopfer wird in einem Gesundheitszentrum im Süden der Mentawai-Insel Siberut behandelt. Bild: lokale Gesundheitsbehörde

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